Das Grubenunglück Lassing am 17. Juli 1998 ereignete sich in der Ennstaler Gemeinde Lassing die größte Bergwerkskatastrophe der Zweiten Republik. Zehn Kumpel starben, Georg Hainzl wurde als einziger gerettet.

Das Grubenunglück

Am 17. Juli 1998 brachen im Talkum-Bergwerk der Naintscher Mineralwerke Stollen ein. An der Oberfläche bildete sich ein Krater, in dem Häuser versanken. Elf Bergleute wurden verschüttet, nur einer, Georg Hainzl, konnte lebend geborgen werden. Zwei Jahre später endete der Lassing-Prozess mit Schuldsprüchen gegen Werksleiter und Berghauptmann. Die Naintscher Mineralwerke zahlten 30 Mio. Euro an Entschädigung und Bergungskosten.

Der 17. Juli 1998

Gegen zwölf Uhr mittags des 17. Juli nahmen Anwohner ein „komisches Knistern“ wahr. Schon kurze Zeit später sah man einen Teil eines Gebäudes zur Seite geknickt, hinter dem sich bereits ein riesiger Krater mit Wasser gebildet hatte. 60 Meter darunter war die Decke einer illegal abgebauten Sohle eingestürzt, und nun füllte Schlamm das Stollensystem. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten 34 Menschen bei den Naintscher Mineralwerken.

Georg Hainzl sollte an diesem Tag die Sohle 1a in 60 Meter Tiefe mit Beton ausspritzen und mit Bruchmaterial verfüllen. Dann meldete er gegen zehn Uhr, Wasser und Schlamm tropfe von der Decke. Als er um 11:15 Uhr 15 ein Krachen hörte, rannte er vor einer anrollenden schlammigen Mure etwa 70 Meter davon. Dort konnte er sich nach rechts in den Jausenraum werfen. Die Mure schoss vorbei, füllte aber den Raum in Sekunden eineinhalb Meter hoch mit Schlamm. Aus Sauerstoffflaschen und einem Rost baute sich Hainzl eine Art Tisch. Noch funktionierte das Telefon im Jausenraum und Hainzl sprach bis 15 Uhr mit Kollegen und seinem Vater, „Papa, jetzt, wo ich Vater werde, muss ich sterben.“ Dann riss das Kabel und damit die Verbindung, Stunden später fiel der Strom und damit das Licht aus. Für Georg Hainzl begann das Warten.

Bald nach Abriss des Kontakts mit Hainzl machte sich ein zehnköpfiger Rettungstrupp ins Berginnere auf, während Übertag Spezialbohrer herbeigeschafft wurden. Sie sollten nicht mehr wiederkommen.

Um kurz nach 21 Uhr begann der Förderkorb hochzufahren. Nach ein paar Sekunden sah der Maschinist, der oben stand, wie das Seil stoppte. Es wurde immer dünner und dünner, sprang aus dem Rad und riss. Aus dem Schacht stieß eine Druckwelle an die Oberfläche. Geröll und Schlamm waren nachgestürzt und verbreiteten den bereits bestehenden oberflächigen Krater gewaltig verbreitert. Gegen 22 Uhr stürzte ein weiteres Haus in den Krater, der Strom fiel aus, die Mobiltelefone funktionierten nicht mehr und es kam zu einem zweiten Schlammeinbruch in das Grubensystem. Es gab keinen Kontakt mehr zur Rettungsmannschaft.

18. Juli

Am nächsten Tag kam es bei den Behörden zu Kompetenzstreitigkeiten. So verstrich wertvoll Zeit, weil Bergbaubehörde und Berghauptmannschaft mit ihrer Selbstorganisation beschäftigt war. Ein Bohrtrupp aus Kassel, der Hilfe angeboten hatte, sollte auf halbem Weg wieder zurückkehren. Fremde Hilfe wollten die Behörend nicht. Erst nach Protesten durften die Hessen kommen und waren es schließlich, die später Georg Hainzl freibohrten.

Dann kam Hilfe aus anderen Ländern ins Ennstal: aus Deutschland kamen Bohrexperten, die italienische Marine schickte Taucher, Ungarn entsandte eine Hundestaffeln. Aber vor Ort in Lassing lief die Rettungsaktion nur schleppend an. Verschlimmert wurde die Situation, weil akutelle Pläne der Stollen nicht auffindbar waren. Und obwohl ein Lassinger Brunnenbohrer ein passendes Bohrgerät vor Ort gehabt hätte, wurde ein solches erst aus einem 150 Kilometer entfernten Ort geholt. Behörden und Betriebsleitung hatten bereits an diesem Tag die Verschütteten längst aufgegeben. Das führte zu Protesten der Lassinger Bevölkerung und die Behörden entschieden, doch weitere Rettungsmaßnahmen.

Weiterer Verlauf

Neun Tage nach dem Unglück, am 26. Juli, wurde in 60 Meter Tiefe ein Vorraum einer Jausenkammer angebohrt. „Ist da wer“, rief OMV-Spezialist Leopold Abraham in die Tiefe und keiner rechnete wirklich noch mit einer Antwort. Dann die legendäre Antwort: „Ja, ich bin's, der Georg. Es geht mir gut, nur die Füße sind etwas kalt.“ Hainzl hatte auf einem Tisch liegend, ohne Nahrung in absoluter Dunkelheit, überlebt. Nach dieser Überraschung hofften die Rettungstrupps auf weitere Überlebende. Doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht mehr und nach 19 Tagen wurden die Rettungsmaßnahmen eingestellt. Die zehn Männer der Rettungsmannschaft, neun Kumpel und ein Geologen, darunter Manfred Zeiser, blieben im Berg und wurden für tot erklärt.

Damals, im Juli 1998, war Josef Rampler, Allgemeinmediziner aus Liezen und Feuerwehr-Arzt, einer der ersten Einsatzleiter in Lassing. Aus diesem Einsatz sollten fast sechs Wochen Dauerzustand werden. Er hatte damals zu Dokumentationszwecken viele Fotos gemacht. Anschauen konnte er sie bis 2013 nur ein Mal. Das war ihm emotional viel zu belastend, sagte Rampler in einem Interview mit dem Kurier im Juli 2013.[1]

Es kam zu einem Prozess und die Naintscher Mineralwerke wurden zu hohen Entschädigungssummen für Angehörige, Geschädigte und die Gemeinde verurteilt. Mit dem Geld kam der Neid. So schrieb ein österreichisches Magazin ein Jahr später, dass im Ort über die „Millionärinnen“, die Witwen, gelästert werde. Ja sogar den einzigen Überlebenden, Georg Hainzl, traf der Neid: Mittlerweile hatte er noch ohne Baugenehmigung mit seinem Hausbau begonnen. Eine anonyme Anzeige dieses "Schwarzbaues" brachte Bürgermeister Friedrich Stangl das eine Geldstrafe ein wegen Amtsanmaßung, weil er den ungenehmigten Bau nicht abreißen ließ.

Jetzt ist's so weit

"Jetzt ist's so weit" sagte Manfred Zeiser zu Mittag, als er mit seiner Frau Margit telefonierte. Der Werkmeister im Talkum-Bergbaubetrieb hatte in letzter Zeit immer wieder einmal angedeutet, es könne "etwas passieren drinnen im Stollen". In einem Gespräch mit den swiki:Salzburger Nachrichten schilderte seine Witwe in der Ausgabe vom 29. Jänner 2000, wie sie das Unglück erlebt hatte.

Nachdem sich die Nachricht von der Verschüttung des Bergmanns Hainzl in Windeseile verbreitet hatte, eilte auch Mar­git Zeiser zur Un­glücksstelle. Am Nachmittag hatte Margit Zeiser ihren Mann dann noch einmal kurz gesehen. Bis heu­te weiss sie nicht, ob er freiwillig zur Inspektion der gefährdeten Stollen abgefahren ist oder ob er auf Auftrag der Firmenleitung handelte.

Ob sie nach so einem Schicksalsschlag noch am Ort des Geschehens weiterleben kann? Sie habe lange gebraucht, antwortete Margit Zeiser, und eigentlich wollte sie wegziehen. Aber da ihr Sohn in ihrem Bruder eine neue Bezugsperson gefunden hatte, blieb sie mit ihren Kindern in Lassing. Margit Zeiser war vor dem Unglück als Altenpflegerin tätig, ließ sich aber nach dem Unglück karenzieren, betrieb viel Sport, Skifahren, Langlaufen, Jogging und Gymnastik. Sie erhielt auch Unterstützung durch eine Sozialhelferin aus Schladming, um diese Zeit zu überwinden. Die Sozialhelferin habe die Familie durchgetragen durch die schwere Zeit und sie seien immer noch befreundet. Die Anwesenheit von Journalisten, die pausenlos angerufen haben sei natürlich auch belastend gewesen - aber die vielen Menschen auch geholfen und uns das Gefühl gegeben: Man interessiert sich für uns.

Welchen Satz gäbe die Witwe Frauen mit, die in eine ähnliche Lage kommen? Nach einigem Zögern meinte Margit Zeiser, dass ihr ihr Kämpfergeist geholfen hatte. In den vier Wochen, in denen gebohrt wurde, war ich ständig dort, fast Tag und Nacht. Es sei schlimm gewesen, dass man nichts hat bewegen können, aber man hat wenigstens den Versuch gesehen, dass etwas getan wird. Sie hätte es nicht ausgehalten, untätig daheim zu sitzen, damals war die Nähe wichtig.

Dass die Toten nicht geborgen werden konnten, bedrückte die Hinterbliebenen. Ein halbes Jahr hatten sie auf die Bergung der Toten gehofft, aber sie seien nur hingehalten worden. Die materiellen Sorgen wurden durch Spendenaktionen gelindert, die Bitterkeit war aber geblieben: "Keiner der Verantwortlichen hat den Mut, zu sagen: So und so ist es, und es tut uns aufrichtig leid. Das enttäuscht mich maßlos."

Chronologie der Ereignisse[1]

  • 17. Juli 1998: der 24-jährige Georg Hainzl wird um 11:45 Uhr in 60 Meter Tiefe eingeschlossen. Kumpel fahren in die Grube, um zu sichern und zu suchen. An der Oberfläche bilden sich Risse, ein Krater entsteht und füllt sich mit Wasser. Die Straße bricht weg, zwei Häuser versinken. Dann um 22 Uhr kommt die Nachricht, dass weitere zehn Bergleute sind verschüttet. Sie befanden sich in 140 Meter Tiefe.
  • 18. bis 25. Juli 1998: Sondierungsbohrungen ergeben keine Hinweise auf Überlebende; die Arbeiten stehen vor dem Abbruch.
  • 26. Juli 1998: Eine der letzten Bohrungen stößt früher als erwartet durch und erreicht Georg Hainzl. Das „Wunder von Lassing“, dass der Bergmann lebt, ist eingetreten.
  • 14. August 1998: Nach Hainzls Rettung machen sich Angehörigen und Helfern Hoffnung. Doch sie werden enttäuscht. Um 21:30 Uhr startet die letzte Kamerafahrt durch einen Sondierungsstollen, das Bild zeigt jedoch nur Schlamm.
  • 17. August 1998: Die Rettungsarbeiten werden offiziell eingestellt.
  • 10. April 2000: Pläne, die zehn Todesopfer doch noch zu bergen, werden endgültig aufgegeben.
  • 28. Juni 2000: Prozessbeginn gegen Ex-Werksleiter und Ex-Berghauptmann. Sie werden wegen fahrlässiger Gemeingefährdung verurteilt. Im Prozess hört man, dass der Abbau zu nahe am Talgrund erfolgte und 1998 der Großteil der Abbaufläche keine Genehmigung hatte.
  • 20. März 2003: Die Urteile werden rechtskräftig: Zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt, für den Werksleiter, sechs Monate bedingt für den Berghauptmann.

2018: 20 Jahre danach

Der Filmemacher Alfred Ninaus hatte eine Dokumentation für ORF III gedreht, die am 16. Juli 2018 gesendet wurde. Aber nicht alle Bewohner von Lassing wünschten sich eine (nochmalige) Berichterstattung. Auch Bürgermeister Fritz Stangl, der zum Zeitpunkt des Unglücks Vizebürgermeister war, hofft, dass nun aber dann endlich Ruhe einkehrt.

Mit Medien hatte man in Lassing nicht so gute Erfahrungen gemacht. Im Sommer 1998 waren mehr Journalisten in der kleinen Gemeinde als zu Formel-1-Rennen in Zeltweg. Die Bevölkerung wurde regelrecht belagert.

Stangl führte dazu aus, dass man das Unglück nicht totschweigen möchte, aber im Ort versucht man das Thema Grubenunglück und die zehn Toten zu meiden. Stangl verglich das mit den in den Zweiten Weltkrieg gezogenen Angehörigen. War einer gefallen, konnten die Hinterbliebenen die Sache abschließen. Wenn aber einer vermisst wurde, blieben Fragen jahrelang offen: war er sofort tot, hat er noch weitergelebt? In der Gemeinde bleibt die Frage im Raum stehen, ob man bei dem Grubenunglück in Lassing wirklich alles zur Rettung unternommen hatte? Das, was die Angehörigen besonders bewegt ist das Drama, dass man nichts gesehen hatte, hatte sich doch alles unter der Erde abgespielt.

Auch Stangl dürfte wohl noch nicht ganz mit dem Unglück abgeschlossen haben. Unternahmen damals die Behörden wirklich alles? So gab es offenbar von der Einsatzleitung anerkannte Klopfzeichen, denen aber nicht nachgegangen worden sein dürfte. Auch habe man eine Woche lang in 100 Meter Tiefe gebohrt, obwohl man bereits wusste, dass Georg Hainzel in nur 70 Meter Tiefe in der Jausenkammer war und lebte. "Das hat ma g'wisst, ich war ja dabei, als ihm Mut zugesprochen wurde und dann plötzlich der Telefonkontakt zu ihm abgebrochen ist. Die anderen zehn haben auf rund 100 Meter gearbeitet." sagte Stangl im Gespräch im APA-Gespräch (siehe Quelle).

Fragen drängen sich immer wieder auf: "Die Sache ist ja, waren sie alle an einem Ort auf 140 Meter in der Sohle, waren sie im Aufzug? Das wäre gegangen, wenn sie sich zusammengedrängt haben. Waren sie sofort tot?" fragte sich Stangl, obwohl im Gespräch nicht klar war, ob er wirklich eine Antwort haben möchte, die es sowieso nicht geben kann. Und: "Es macht nachdenklich, wenn die Kripo-Beamten im Extrazimmer vom Wirtshaus zu dir sagen, sie haben den Eindruck, es wird zu wenig getan."

Die Menschen

Der Bergmann Georg Hainzl, als einziger Überlebender, lebt heute in einem engen Freundes- und Arbeitskollegenkreis sehr zurückgezogen. Von den Verunglückten sei einer Lehrling in der Kfz-Werkstatt von Fritz Stangl gewesen, ein anderer ein Spielkamerad seiner Tochter, einer stammte aus Ardning, der Geologe aus dem Mürztal. Mit dem Bergmann aus Ardning verbindet Stangl, ein Segelurlaub in der Türkei eine Woche vor dem Unglück. Sieben der Kumpel waren Lassinger. Stangl beendete an dieser Stelle das Gespräch mit dem APA-Journalisten über das Unglück und sprach dann über die aktuellen Gemeindevorhaben. Zuvor sagte er noch: "Sie waren alle sieben meine Freunde."

Siehe auch

Video-Link

  • tvthek.orf.at "Grubenunglück von Lassing – Der erste Tag", abgefragt am 16. Juli 2018

Bild-Link

  • www.nachrichten.at, Bilder aus dem Archiv der "Oberösterreichischen Nachrichten", abgefragt am 16. Juli 2018

Quellen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Quelle kurier.at/chronik, abgefragt am 16. Juli 2018