Die Telefongeschichte vom Gasthof Dachsteinblick

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Die Telefongeschichte vom Gasthof Dachsteinblick, eine private Geschichte erlebt zu Kriegsende im Gasthof Dachsteinblick in Wörschachwald, erzählt von Stefan Berger aus Liezen.

Die Telefon Geschichte

Genau am 5. Mai 1945 war es wieder soweit, die Mutter hat mich, wie so oft und ohne nachzudenken, was da eventuell in Untergrimming los sein könnte, zur Bäckerei Stenitzer geschickt (ca. eine Stunde bergab) um Brot einzukaufen.

Die Bäckerei Stenitzer war der nächste Bäcker und nicht nur das, da war auch eine Getränke-Fabrik. Klein aber fein, und da wurde das damals sehr beliebte Himbeerkracherl sowie Sodawasser erzeugt.

Na ja, den Weg dorthin kannte ich gut und wie gesagt ohne zu überlegen, was am Vortag in Lessern passiert ist, bin ich mit meinen Rucksackl losgegangen. Man kommt da zu einer Wegkreuzung, wo die Straße nach Pürgg hinaufführt, da musste ich drüber und dann war der Teufel los! Viele Soldaten, die haben sich ihrer Uniform weitestgehend entledigt. Alle Auszeichnungen von den Röcken abgetrennt und weggeworfen. Da lag ein großer Berg, lauter Uniformen, schöne graublaue Offiziersmäntel, Kappen und Röcke. Daneben ein weiterer Haufen, lauter Gewehre. Viele abgeschlagen, einfach an einen Baum mit aller Kraft geschlagen und der Karabiner war in zwei Stücke zerbrochen. Da lagen auch Pistolen und Gasmasken herum. Für mich so viel auf einmal, ich war einfach überwältigt und ging vorbei, am Ganzen. Mich hat aber auch keiner beachtet, die Soldaten waren mit sich selbst so beschäftigt, dass ich überhaupt nicht aufgefallen bin.

Die Frau Stenitzer aber, die war um mich dann sehr besorgt und wollte mich gar nicht mehr weitergehen lassen. Dies ging aber nicht, ich musste doch noch nach Pürgg zum Kaufhaus Adam, weil ich auch dort noch einiges kaufen sollte. Außerdem habe ich der guten Frau gesagt “ Die Soldaten tun mir nichts“!

So bin ich mit meinem Rucksackl und ein wenig Brot in Richtung Pürgg weiter gegangen. Man kam da beim Zettler Bauern vorbei, und hinter dem Bauernhof war eine Schottergrube. Die gibt es heute nicht mehr, da führt die neue Straße drüber. Damals konnte man da in der Schottergrube einige Lkw abstellen. Dies war auch so. Da standen eben auch Kriegsfahrzeuge, und bei dem Einen, das ist mir aufgefallen, war die hintere Bordwand offen und eine Leiter war angelehnt. Oben auf der Ladefläche waren lauter schöne, neue Kisten. So aus Sperrholz und mit Alublech beschlagen. Die Kisten haben mich fasziniert. Was mag da wohl drinnen sein? Also einfach die Leiter rauf, eine Kiste geöffnet. War ganz einfach, und darinnen lagen fein säuberlich mit Holzwolle eingepackt lauter Handgranaten! Ich nahm einen Stiel mit der rechten Hand heraus und einem Sprengkopf mit der linken Hand, und wollte die beiden Teile zusammenschrauben. Vor lauter angespannt sein und abgelenkt vom Straßenlärm, habe ich nichts bemerkt. Plötzlich ein Schlag und ich bin gegen die Bordwand getorkelt. Ein junger Soldat stand da plötzlich neben mir und hat geschimpft: Blöder Bua, das ist kein Spielzeug, da kannst hin sein, lass das sofort liegen!

Und dann meinte er, wenn du schon etwas zum Spielen brauchst, ich gib dir etwas anderes. Er ging mit mir zu einem weiteren Auto, so ein Kastenwagen. Da drinnen waren links und rechts, von Boden bis zur Decke, Stellagen und da drauf, lauter Feldtelefone. Er nahm eines heraus, es war auch ein Tragegurt dran, mit dem hat er mir das „Kastl“ umhängen wollen. Dies schlug fehl. Ich war so klein und so hing das Kastl bis zum Boden hinab. Aber er wusste sich zu helfen, machte einen Knoten in den Gurt und jetzt passte es. Er fragte mich dann: Wie weit hast Du bis Heim? Na ja schon eine Stunde, gab ich zur Antwort! Gut meinte er, dann kommst Du noch einmal, bringst aber einen Freund mit, der soll dann ein zweites Telefon nachhause tragen und ein Traggestell mit Telefondraht braucht ihr auch, und dann könnt ihr Tag und Nacht telefonieren.

Der Heimweg hat sich gezogen, der Einkauf beim Adam in Pürgg wurde ganz einfach vertagt. Jetzt war der „Telefon“ wichtiger. Ich bin nur bis zum Nachbarn, dem „Poserer“ gegangen, bis zu uns wäre es noch um etwa 15 Minuten weiter gewesen. Dort habe ich natürlich meinen besten Freund den „Poserer“-Lois zuerst über alles informiert und dann sind wir losgelaufen. Der Lois war um drei Jahre älter als ich, daher hat er dann die „Kraxe“ mit dem Draht getragen und ich das zweite Telefon. Noch am Abend wurde die Verbindung zwischen unseren Höfen ausgelegt. Den Draht haben wir auf Anraten meines Vaters, mit Hilfe von einer langen Stange, auf Bäumen gehängt und wenn es möglich war, auf Zäunen angebracht. Die ca. 500 Meter lange Strecke zwischen unseren Gehöften war für uns Kinder gar nicht so einfach zu bewältigen. Es war schon finster, als wir zum ersten Mal telefonieren konnten und das war super. Wir konnten uns jederzeit und ganz umsonst anrufen, konnten Termine vereinbaren und einfach blödeln, ein wirklich schönes Spielzeug in dieser trostlosen Zeit, wo es ja sonst überhaupt kein Spielzeug gab. Wir hatten doch rein gar nichts und spielten mit Fichtenzapfen, das waren unsere Kühe. Andere Dinge die eben in der Natur vorgekommen sind, wurden als Spielsachen umfunktioniert, und jetzt auf einmal, so eine Errungenschaft!

Schon am nächsten Tag hat mein Vater dieses „Ding“ mal ausprobiert, und er war begeistert! Er meinte: “dös wa jo schö, wama a zum „Draxler“ eini a telefonieren kunten“? Dies war gleichzeitig ein weiterer Auftrag für uns. Sofort den „Poserer“ Lois anrufen, den Plan besprechen und schon waren wir unterwegs nach Untergrimming. Der nette Soldat war wieder da und hat uns, wie am Vortag, Feldtelefone tragegerecht hergerichtet. Diesmal nahmen wir erst einmal jeder zwei Stück mit. Eines links, eines rechts auf der Schulter hängend. Das war ganz schön schwer, aber am Nachmittag wurde es noch schwerer. Wir brauchten viel mehr Drahtrollen, und die sind erheblich schwerer. Aber wir haben es geschafft. Jetzt musste auch mein Vater mit zum Leitung verlegen, weil wir unsere Nachbarn fragen mussten, ob wir ihre Zäune und Bäume zum Auflegen der Leitung benützen dürfen. Dies war für den Vater kein sonderliches Problem, war er ja der einzige Schuhmacher weit um, und daher ein allseits bekannter und auch, wenn oft notgedrungen, begehrter Mann. Da konnte keiner „nein“ sagen, außerdem fingen auch die Nachbarn an, sich für das Telefon zu interessieren. Besonders die Kinder sind neugierig geworden und haben mich gefragt, wie sie zu so einen „Telefonkastl“ kommen können? Ich konnte aber gerne helfen, ein neuerlicher Marsch nach Untergrimming und weiteres Material, wie Leitungsdraht und ein weiteres Kastl und schon war das Leitungsnetz um einen weiteren Teilnehmer größer.

Schließlich waren die meisten Bauernhöfe miteinander verbunden. Dies führte dazu, dass es erstens beim Erreichen des richtigen Teilnehmers, schon schwierig wurde. Wir haben uns für Klingelzeichen entschieden. Einmal kurz Leuten, war „Poserer“, zweimal war „Ebner“, dreimal war „Draxler“ und so weiter. Dann kam aber der „Brunner“-Knecht aus dem Krieg, weil er noch verwundet war, frühzeitig heim. Das „Brunner“ liegt zwischen dem „Ebner“ und dem „Draxler“, also ein Neuanschluss und weil das Klingelzeichen der Reihenfolge entsprechen sollte, musste auch das Klingelzeichen geändert werden. Also bekam der „Brunner“, dreimal klingeln und „Draxler“ vier Mal. Bis dahin ging es ja noch, aber als dann schon zehn Teilnehmer waren, das ging nicht mehr so gut. Nicht nur beim Anrufen, auch bei den Empfängern, musste immer mitgezählt werden. Da passierte es oft, eine kurze Ablenkung, weil ein Kind geschrien hat, oder der Hund hat gebellt, und schon hatte man sich verzählt. Dann hat der Falsche abgehoben. Dies war ja nicht so schlimm sondern vielmehr der Umstand, dass alle anderen, die eigentlich nicht gemeint waren, jedes Gespräch, mit anhören konnten. Genau genommen, es gab keine Geheimnisse mehr im ganzen Tal!

So waren zum Beispiel in unserer Nachbarschaft zwei Verliebte, die haben jeden Abend so gegen 21 Uhr stundenlang telefoniert, (die Namen will ich hier nicht nennen) ich habe damals aus Platzmangel in der Schusterwerkstatt geschlafen und natürlich hatte ich auch da ein Telefon. Die beiden Verliebten waren wohl vorsichtig, sie haben kein Klingelzeichen abgegeben, nein sie hatten sich eine Zeit ausgemacht. Pünktlich um 21 Uhr hat man dann ganz leise ein „Servus, bist eh schon dran“ oder so ähnlich gehört. Ich habe jeden Tag mit dem Hörer am Ohr und im Bett liegend darauf gewartet und oft bis zu zwei Stunden die Liebesplauderei mit angehört. Oft bin ich mit dem Hörer im Bett, in der Früh aufgewacht, weil ich vor lauter Liebesgeflüster eingeschlafen bin. Es ist aber auch vorgekommen, dass die Beiden sich eine andere Zeit ausgemacht haben, um ja nicht entdeckt zu werden. Da habe ich dann, wenn ich etwas verschlafen habe, auch etwas versäumt. War nicht so schlimm, denn es war nicht immer interessant.

Dann ist „Gott sei Dank“ so nach einem Jahr, der Pötsch Hans vlg. Mojer aus der Gefangenschaft gekommen. Der Hans war Funker beim Militär und hat sich daher beim Telefon bestens ausgekannt. Er hat sich sofort erkundigt, wer der Urheber der ganzen Geschichte sei und war erstaunt, dass dies eh der kleine „Schusterbua“ vom „Ebner“ war. Er ist zu mir gekommen, ich bin da um einige Zentimeter gewachsen, so eine Ehre, der große Hans kommt zu mir, um mich zu fragen! Ja er hat mich gefragt, wo ich all das Zeug her hatte und ich konnte ihm natürlich Auskunft geben. Aber, ob da noch etwas da ist, das konnte ich ihm nicht sagen. Der Hans ging mit mir nach Untergrimming, und siehe da, der Lastwagen stand noch immer da, nur er war jetzt verschlossen. Aber dem Hans war dies egal, mit einer Eisenstange hat er das Schloss öffnen können und oh Wunder, es waren die Dinge drinnen die der Hans gesucht hatte. Eine Vermittlung für ein ganzes Telefonnetz. Der Hans hat nicht lange gebraucht und ab diesen Zeitpunkt brauchten wir nur einmal lange läuten, dann meldete sich jemand vom Pötsch vlg. Mojer, und dieser Jemand hat dann mit dem gewünschten Teilnehmer, mittels Stecker verbunden. Aus war es mit dem „Mithören“, aus war es mit dem Liebesgeflüster und so weiter!

Es gab aber nicht nur Vorteile mit dem ganzen „Glumpert“, die Bezeichnung meiner Großmutter für das Telefon. Nein es gab auch viele Schattenseiten. Der Sturm, der Schnee, die Rindviecher. Sie alle haben der Leitung, die wie schon erwähnt, nur auf Bäumen und Zäunen hing, arg zugesetzt. Immer wieder war die Verbindung abgerissen, immer wieder musste die Störung zuerst gefunden und auch repariert werden. Alleine war man oft nicht in der Lage, oft musste man zu Dritt sein, den Draht von den Bäumen herunter zu holen, dann zusammendrehen, wieder Isolieren und wieder hinauf auf den Baum. Heute würde man Klemmen verwenden, dies gab es damals nicht, es war schon ein Wunder, wenn Isolierbänder irgendwo zu bekommen waren.

Ich war viele Stunden freiwillig unterwegs, die Störungen zu suchen, denn irgendwie habe ich mich als der Vater oder der Erfinder dieser „Angelegenheit“ gefühlt. Sehr oft hat mir der Franz Heiß vom „Brunner“-Bauern geholfen, aber bedankt hat sich nie jemand bei uns, wenn die Sache wieder gelaufen ist, na ja - Undank ist der Welten Lohn!

Drei Jahre lang haben wir dieses so praktische „Glumpert“ benutzen und betreiben dürfen. Es war so praktisch, weil man sich viele Wege dadurch erspart hatte. War Jemand krank, konnte man Hilfe vom Nachbar rufen, hatte man etwas vergessen auszurichten, am Sonntag beim Kirchn-Gehen, war jemand gestorben, wurde sofort die ganze Verwandtschaft informiert, der Begräbnistermin bekannt gegeben, das „Kirchenansagen“, welches in so einen Fall notwendig war, ist entfallen. Wann es zum Almzäunen war oder zum Auftrieb auf die Alm, all dies wurde per Telefon besprochen. Dem Vater hat es sehr gut gepasst, wenn Schuhe fertig waren, hat er nur anrufen brauchen und die Schuhe wurden abgeholt. Ja es waren einfach alle Verständigungen um vieles einfacher, man denke sich ganz einfach heute zum Beispiel, das Telefon oder gar das Handy - einfach weg, und dann hat man den Zustand, der früher war. Heute nicht mehr vorstellbar? Aber dann kam der „Hammer“!

Auf einmal, wie aus heiterem Himmel, kam der Bescheid, überbracht von der Gendarmerie, wir müssen das Telefonnetz abtragen und die Telefonkastln am Postamt in Klachau beim Postmeister Sepp Lösch, abliefern. Das war eine harte Geschichte, nicht nur für mich als „Urheber“, sondern für alle Wörschachwalder, die sich bis dahin, so sehr ans Telefonieren gewöhnt hatten!

Einsprüche über die Gemeinde waren erfolglos, weil man die Feldtelefone und den Leitungsdraht als „Kriegsbeute“ bezeichnet hatte, und dies abzuliefern ist. Ich bin aber eher der Meinung, dass die Post erkannt hat, dass da kostenlos telefoniert wurde, und dies wollte man verhindern.

Eines muss bei der Geschichte auch noch erwähnt werden. Mehrere Bauern haben über das unschöne Telefon, ein Holzkastl darüber gebaut. Dies hat dann besser zur Einrichtung in den Bauernstuben gepasst. Auch wir hatten so ein Kastl und so ging der Franz Heiß und ich mit dem Holzkasten zur Post hinaus nach Klachau. Der Herr Postmeister hat uns nur gefragt von welchem Haus das Telefon sei und dann den Befehl gegeben, „Stellt es einfach dort in die Ecke“, aus basta!

Dem Franz ist dabei aufgefallen, dass der gute Mann gar nicht geschaut hatte, ob auch tatsächlich ein Apparat im Holzkastl ist? Dies brachte uns auf eine glorreiche Idee? Sofort noch alle Nachbarn verständigen, sie mögen in die Holzkastl nur Steine einfüllen, damit es ungefähr so schwer ist, wie das Telefon und so abzugeben. Damit konnten wir viele Apparate heimlich behalten. Später haben es die Bauern, ganz gut bei den Seilbahnen brauchen können. Ich selbst habe noch immer, um Andenken an diese Zeit und allem Drum und Dran, ein Feldtelefon im Keller stehen.

Heute nach 75 Jahren kann sich in Wörschachwald kaum jemand an dieses Ereignis erinnern, die meisten, die dies erlebt haben, sind schon verstorben, daher schreibe ich es nieder, damit es nicht ganz vergessen wird. War es doch eine Sache, die man nicht vergessen sollte.

Quelle

Erzählungen von Stefan Berger