Da "Ebner Bua" und das Kriegsende in Wörschachwald
Da „Ebner Bua“ und das Kriegsende in Wörschachwald ist eine private Geschichte, erzählt von Stefan Berger junior aus Liezen.
Die Geschichte
Schon um den 25. April 1945 herum, muss es gewesen sein, da kamen bei uns, in der Jausenstation „Dachsteinblick“ vlg. Ebner in Wörschachwald (damals Gemeinde Pürgg) in 1 050 Meter Seehöhe so gegen den Abend, immer wieder Soldaten von Lessern oder Pürgg herauf und haben um etwas zu essen und um eine Schlafstelle gebeten.
Zum Essen gab es bei uns zu dieser Zeit auch nur sehr wenig, aber schlafen im Heu in der Tenne, das hat mein Vater, selber 50 % Kriegsinvalide aus dem Ersten Weltkrieg, den Männern immer angeboten. Die Großmutter suchte etwas zum Trinken und wenn sonst gar nicht`s da war, ein paar Eier oder Erdäpfel konnte sie doch finden und verabreichen. In der Früh, wenn wir zur Schule gingen, waren die Soldaten schon wieder weg. Niemand wusste wohin, welchen Weg sie auf der Flucht vor den Amerikanern oder Russen, aber auch vor den eigenen fanatischen Nazis, eingeschlagen haben. Viele Möglichkeiten gab es ja von uns aus nicht, zurück ins Tal ging ja nicht, also war nur eine Richtung möglich, nämlich die über die Almen und Berge in Richtung Ober-, Nieder-Österreich und vielleicht nach Wien? Die meisten waren Wiener.
So kam eines Abends auch ein Soldat mit einem Pferd herauf. Das schwarze, etwas klein geratene Tier trug am Rücken die Habseligkeiten des Soldaten und auch er wollte nur bei uns, mitsamt den Pferd, übernachten und dann am nächsten Tag, weiter über die Almen in Richtung Wien, flüchten. Mein Vater hat den unerfahrenen Mann vor den Tücken der Berge gewarnt. Da oben liegt noch mehr als ein Meter Schnee, da gibt es keine Bauern mehr zum Übernachten, kein Futter für dein Pferd, das geht einfach schief!
Der Mann hatte sich überreden lassen und hatte uns sein Pferd ganz einfach dagelassen. Jetzt hatten wir neben zwei Kühen und zwei Schweinen auch ein Pferd im Stall. Für mich war es ein wunderbares Geschenk. Ich konnte damit reiten, herrlich! Meine Schwestern, die naturgemäß, weil schon älter, auch schwerer waren, hatte der Gaul immer ganz geschickt, abgeworfen. Es hatte einfach zum Galoppieren angefangen und dann ist es einfach stehen geblieben. Der oder besser, die Reiterin ist immer über den Kopf des Tieres drüber geflogen und lag, meist mit Blutergüssen, auf der Erde. Ich hatte diese Probleme nicht und so war mir das Vieh sofort ein treuer Begleiter. Leider mussten wir es dann nach ein paar Monaten wieder abliefern. Es wurde gefordert, dass alle, die vor dem Krieg kein Pferd hatten, die sogenannte „Kriegsbeute“ wieder herausrücken müssen. Uns war sehr Leid, weil wir auch wussten, dass die Pferde zum Schlachter gebracht und zu Wurst verarbeitet wurden.
Aber das Tier hatte Glück. Der Vater hatte laut Vorschrift das Pferd nach Wörschach zum Bahnhof bringen müssen. Dadurch ist er am Gehöft „Weber“ am Wörschachberg vorbeigeritten. „Der Weber“ und mein Vater sprachen über die Situation und dass es sehr schade um das gute Pferd sei. Da meinte der Herr „Weber“, „Ja weißt was, da nimmst einfach meinen blöden Muli, der spinnt sowieso immer, und ich behalte mir das Pferd“! Gesagt getan, und so lebte mein Ross noch einige Jahre!
So um den 1. Mai herum, konnten wir von unserem Standort aus, hinunter sehen auf die heutige (Salzkammergut-)Bundesstraße 145, zwischen Trautenfels und Bad Aussee. Damals fuhr in der Regel alle zehn Minuten ein Fahrzeug, jetzt wurden die Bewegungen zunehmend mehr und die meisten fuhren in Richtung Trautenfels, und zwar, weil man im Radio hören konnte - obwohl wir nicht durften - dass die Amerikaner bald in Salzburg sein werden. Diese Verkehrsrichtung hat sich aber spontan geändert, als vermeldet wurde, der Russe kommt über Niederösterreich in Richtung Semmering und die Steiermark. Jetzt fuhr alles retour in Richtung Bad Aussee!
Dies war aber für viele, vor allem schwere Lkw, die damals mit Holzvergaser-Motoren ausgestattet waren, nicht so einfach. Die „große Klachau“ hatte eine Steigung von 18 %, dies war zu steil, die Männer suchten im nahen Wald nach trockenem Holz, um die notwendige Temperatur für eine bessere Motorleistung zu erreichen, aber es gab im Frühjahr kein trockenes Holz, und so blieben die Lastwägen an der steilsten Stelle ganz einfach stehen. Die Fahrer hatten keine Chance und haben daher die schweren Lkw ganz einfach in den nahen Grimmingbach hinunter gesteuert. Das Ladegut ist oft einfach oben gelassen worden und ich weiß nicht, wer es letztendlich geborgen hat. Dazu hatten wir keine Gelegenheit mehr, es gab Wichtigeres.
Ein, mit weißen Säcken beladener Lkw blieb am steilsten Stück, gleich ober der am Straßenrand stehenden Kapelle zum Erliegen. Mein Vater stand da unmittelbar daneben. Ein Soldat stand da oben auf der Ladefläche und schrie zu meinem Vater herunter: “He Vater, brauchst an Reis“! Ja natürlich war seine Antwort. „Ja dann kimm her“ Der Vater ging zum Lkw hin und der Mann ließ einen 80 kg schweren Reissack auf den schmächtigen und ausgehungerten Mann, herunterfallen. Ich sehe noch immer dieses Bild vor mir, mein Vater ist unter der Last zusammengesackt. Er hatte mir so leid getan, aber ich mit meinen zehn Jahren, konnte ihm nicht wirklich helfen. Mit letzter Kraft haben wir gemeinsam diesen schweren Sack, der noch dazu so prall gefüllt und daher sehr schwer zum Angreifen war, hinaus in den nahen Wald gezogen. Zum Tragen hätte die Kraft niemals gereicht. So, jetzt haben wir erst mal auf den Sack sitzend, die weitere Vorgangsweise beraten.
Wie bringen wir den Reis, der für uns zum Leben ein sogenanntes „gefundenes Fressen“ war, von Lessern (ca. 800 m) nach Wörschachwald (1 100 m)? Der Vater meinte: Wenn ich dich dasitzen lasse, um auf diese Beute aufzupassen, könnte es passieren, dass jemand kommt, und dir den Sack einfach wegnimmt. Also mussten wir es schlauer machen! Der Vater hat beschlossen: Er bleibt beim Reissack und ich muss hinauf zum Elternhaus und von dort zwei Rucksäcke und alle kleinen Stoffsackerl, die wir ja zur Genüge hatten, weil damals alles in Stoffsackerl heimgetragen wurde. Ja, beim Kaufmann wurde eben Mehl, Zucker, Polenta, Gries usw. in diese Sackerl gefüllt, dann in den Rucksack und ab die Post in Richtung Heimathaus.
Ja, so wurde es gemacht. Ich bin hinaufgelaufen und wieder hinunter, so schnell es ging und dann wurde umgefüllt. Der Vater wird so an die 25 kg getragen haben und ich kleiner Zwerg werde wohl auch schon 15 kg geschafft haben. Die zweite Hälfte, also den Rest im Reissack haben wir dann in die Nähe des Grimmingbachs getragen und dort mit Sträuchern zugedeckt. Einfach „versteckt“ sagen wir!
Nach etwas mehr als einer Stunde kamen wir ja bereits um die zweite Hälfte und der Fall war gelöst. Heute weiß ich es nicht mehr genau, aber ich nehme an, es wird im Hause „Ebner“, sehr, sehr oft eine Reisspeise neben Polenta und Muss, gegeben haben.
Quelle
- Stefan Berger, übermittelt von Hermann Harreiter via E-Mail an Administrator Peter am 7. Juli 2020
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